Rede zur Ausstellungseröffnung ___________________________ Licht – Luft – Leichtigkeit

 

Einführungsrede der Kunsthistorikerin Dagmar Burisch zur Ausstellung

„Licht – Luft – Leichtigkeit“

Uta Arnhardt, Nicole Bellaire, Erika Klos

vom 2. Februar bis 18. März 2018 in der Galerie des Rathauses Hirschberg

 

Meine Damen und Herren,

bei der Vorbereitung zu dieser Ausstellung bin ich auf ein Zitat gestoßen, das ich meinen Ausführungen gerne voranstellen möchte. In Ludwig Tiecks Künstlerroman Franz Sternbalds Wanderungen – einem Werk der Romantik – heißt es: „Lass Dich von der Natur anwehen … „ – Dahinter steckt die Idee, in einer empfindsamen Anschauung der Landschaft, würden äußere und innere Natur zueinanderfinden und zusammenklingen.

Und was dabei herauskommen kann, wenn man sich von der Natur „anwehen“ lässt, das, meine Damen und Herren haben wir hier in der Ausstellung vor Augen.

„Licht – Luft – Leichtigkeit“, dieser von den drei Künstlerinnen selbst gewählte Titel beschreibt treffend, was den Betrachter in der Ausstellung erwartet, was er sieht oder besser, was er spürt, denn die drei Begriffe stehen für Immaterielles, etwas, das weder sichtbar noch greifbar ist.

Uta Arnhardt, Nicole Bellaire und Erika Klos haben das Kunststück vollbracht – jede auf ihre Art -, dem Flüchtigen, dem Schwerelosen und zugleich Wunderbaren in der Natur eine eigene Gestalt zu verleihen.

Die Natur ist Bildanlass und Ideengeber für alle drei Künstlerinnen. Die Umsetzung des Themas bewegt sich dabei im Spannungsfeld von der scheinbar naturgetreuen Wiedergabe in den zarten  Zeichnungen von Nicole Bellaire über die klar komponierten Papiercollagen mit Pflanzenfragmenten von Uta Arnhardt bis hin zum abstrakt anmutenden Kunstwerk aus Binsenzeichnung und Lackspuren bei Erika Klos.

Naturphänomenen wie Licht und Dunst sowie lautlosem Schweben antworten als Materialübersetzungen Transparentpapier, durchscheinendes Wachs und federleichte Papierschöpfungen.

Das Erspüren der Geheimnisse in der Natur ist das Eine, das Entdecken und Offenlegen das Andere – und dazu braucht es Achtsamkeit und minutiöse Beobachtung.

Durchlässigkeit, geschärfte Sinne, die Gabe der genauen Beobachtung sind allen drei Künstlerinnen gemein, denn sie sind wesentliche Voraussetzungen für ihr kreatives Tun.

Damit bewegen sie sich nicht zuletzt in einer Tradition, die in der Kunstgeschichte zurückreicht etwa bis hin zu den präzisen Illustrationen in den botanischen Prachtwerken des 16., 17. und 18. Jahrhunderts. Damals gab es einen engen Austausch zwischen Naturforschern und Künstlern. Letztere lieferten mit hohem handwerklichen Vollendungsgrad geschaffene  Zeichnungen, Kupferstiche und Radierungen, mit Hilfe derer die Morphologie der Pflanzen, Insekten und anderer Naturentdeckungen Verbreitung fand und erforscht werden konnte.

Indes – bei aller Kunstfertigkeit, die Botanik als visuelle Wissenschaft genügte und genügt nicht, um die Sprache der Natur zu verstehen. „Die Natur muss gefühlt werden“, wusste schon Alexander von Humboldt, denn die Wissenschaft ist der Verstand der Welt, aber die Kunst ist ihre Seele.

Und kein Geringerer als Auguste Rodin sah den Künstler als einen animistischen Menschen, der nicht nur die Seele der ihn umgebenden Personen in kleinsten Gesichtsdetails entziffert, sondern auch den Geist der Tiere, der Bäume und Blumen über ihr Formenvokabular versteht.

(Zitat) „Die Bäume, die Pflanzen sprechen (zum Künstler) wie Freunde. Die Blumen verständigen sich mit ihm über die graziöse Biegung ihres Stiels, über ihre singenden Nuancen ihrer Blütenblätter: Jede Blumenkrone im Grün ist ein Wort, das die Natur an ihn richtet.“

Mir scheint, Uta Arnhardt, Nicole Bellaire und Eva Klos stehen in ständigem Dialog mit der sie umgebenden Natur.

Ihre Kunstwerke wiederum sind die bildgewordenen Übersetzungen dieser nonverbalen Zwiesprache, so dass auch wir als Betrachter daran teilhaben können.

Uta Arnhardts Dialog mit der Natur ist klar, wohlgesetzt und schnörkellos.
Zur Sprache kommt hier insbesondere das Material.
Papier ist ein Stoff aus der Natur und als künstlerisches Medium im wahrsten Sinne vielschichtig einsetzbar.

In ihren geometrisch-abstrakten Collagen verständigen sich ganz unterschiedliche Papiere miteinander. Faserige Fragmente handgeschöpften Papiers (oft internationaler Herkunft) treten in direkte Nachbarschaft zu glatten Gebrauchspapieren. Die wechselnde Oberflächenbeschaffenheit, Farbigkeit und Dichte der Papiere fügt sich in der subtil austarierten Komposition zu einem stimmigen Bildganzen.

Zwischen den Farb- und Formüberlegungen vermittelt die Zeichnung – nicht mit dem Stift, sondern mit einem schwarzen Faden.

Hier und da entdeckt man in den klar gegliederten Papierfahnen, die als Leichtgewichte rahmenlos und frei vor der Wand schweben dürfen, winzige Blütenteile, Staubgefäße, Blättchen und Samenfäden.

Sie sind von der Künstlerin einzeln und wohlüberlegt mit der Pinzette einander zugeordnet und mit Bienenwachs zwischen die transparenten Papierschichten geklebt worden.

In der Gesamt-Choreographie ergibt das fragile Material, das im Papier sicher aufgehoben ist, ein Blüten-Alphabet.

Jedes Blatt, jedes Staubgefäß ist einzigartig, denn die Natur wiederholt sich nicht – genauso wenig wie das einmal ausgesprochene Wort, das in der Zeit vergeht.

Uta Arnhardts geduldige Spurensicherung zeugt von hoher Sensibilität und Empathie, längst hat sie gelernt, die Chiffren der Natur zu lesen.

In Nahsicht und im Kleinen erkundet auch Nicole Bellaire in ihren duftigen Zeichnungen mit Blei- und Buntstift das Wesen und das Gestaltspektrum der Natur.

Blütenstempel, Samenkapseln von zartem Flaum umgeben, Insekten mit ihren filigranen Beinchen und transparenten Flügeln kommen hier detailliert zur Anschauung.

Botanisches Interesse vermischt sich bei Nicole Bellaire mit Faszination und Staunen vor dem Objekt, daraus erwächst im Prozess des Zeichnens ein eigener erfundener Kosmos aus biomorphen Wesen.

Im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Ausdrucksmittel liebt die Künstlerin die Abwechslung.

Neben den Zeichnungen entstehen kleinformatige Bildobjekte in Mischtechnik oder Holzschnitte – bevorzugt in der Technik der verlorenen Platte, dabei werden alle Farben mit einer einzigen Druckplatte gedruckt. Nach jedem Druckvorgang wird die Platte weiterbearbeitet, um mit der nächsten Farbe erneut zu drucken. Der jeweils vorherige Zustand der Platte geht unweigerlich verloren und das Druckergebnis wird zum Unikat – nicht wiederholbar, genauso einzigartig wie jedes Lebewesen in der Natur.

Nicole Bellaires Umgang mit dem organischen Formenreichtum ist spielerisch und zwanglos, ihre Kreativität entzündet sich an der Morphologie, der Gestalt, Struktur und dem Regelmaß von Organismen.

Daraus entwickelt sie in den Zeichnungen Phantasiegeschöpfe mit Eigenleben und im Holzschnitt ihre ornamental anmutenden Rapporte.

Durch das serielle Aneinanderreihen desselben Motivs ergeben sich unerwartete Formentsprechungen, wenn etwa aus einer Orchideenblüte in der stereotypen Wiederholung Schmetterlingsflügel wachsen.

Die Künstlerin lässt sich gerne und immer wieder aufs Neue überraschen bei ihren zeichnerischen Expeditionen in die schier unerschöpfliche Gestaltwelt der Pflanzen und Insekten.

Die Dritte im Bunde der kreativen Naturerforscherinnen ist Erika Klos.

Mehr noch als bei ihren Kolleginnen ist das Licht, auch als Medium des Augenlichts und damit des Sehens in den Werken essentiell. Sie lehrt den Betrachter das reflektierende Sehen und das Spuren lesen.

Ihre sparsamen, aber ausdrucksstarken Abstraktionen legen Fährten, denen es zu folgen gilt, um Entdeckungen zu machen wie diese, von der die Künstlerin selbst berichtet:

Zum Arbeiten mit ihrem bevorzugten Material – dem Transparentpapier – kam sie durch eine Beobachtung beim Spazierengehen. Ganz in Gedanken versunken, fielen ihr  Binsen am Wegesrand auf.

In ihrem Wuchs erkannte sie energische, kraftvolle Striche – Zeichnungen von und in der Natur. Warum also nicht mit Materie zeichnen?

Um aber als Materie erkannt zu werden, brauchte es einen Gegensatz – das Licht.

Also begann sie Gebilde aus Binsen zwischen zwei Lagen Transparentpapier zu fixieren. Gegen das Licht gehalten, scheinen die Materialzeichnungen vor dem Auge zu fliegen.

In anderen Arbeiten sorgen getropfte Lackfäden für Zufalls-Spuren auf dem Transparentpapier.

Durch den Materialkontrast – getrocknete Lackfarbe auf zartem Papier – kommt es zu faltigen Verwerfungen, es entsteht eine reliefartige, lebendige Bildfläche, die Zeichnung wird Objekt.

Zur Akzentuierung werden Farbpigmente miteinverleibt, manchmal kann es auch der Glanzruß vom Kaminkehrer sein.

Erika Klos´ Herz schlägt für die intuitive Kreativität, sie erzwingt nichts, sondern vertraut auf den glücklichen Augenblick und das offene Buch der Natur.

 

Meine Damen und Herren,

in dieser Ausstellung liegen Spüren und Sehen ganz nahe beieinander. Es ist ein sinnliches Kunsterleben, leise und unaufdringlich.

Die Ausstellung schafft uns eine Nische zum Innehalten und sie fordert unsere Wahrnehmung, indem sie sie zugleich in die Freiheit entlässt – nichts muss, alles kann …

Ein Aufatmen in der Betrachtung.

Dazu lade ich Sie nun ein, denn – um mit Goethes Worten zu schließen:

 

Sprichst du von Natur und Kunst,
Habe beide stets vor Augen:
Denn was will die Rede taugen
Ohne Gegenwart und Gunst!

 

Dagmar Burisch